In Anlehnung an den bekannten Paartherapeuten Michael Lukas Moeller
"Wir leben in Beziehung, aber die Beziehung leben nicht. Auch wenn sie uns das Leben bedeutet“ (Moeller 2005).
Wenn Du wenig Lese-Zeit hast, hier eine Kurzversion:
"Kolonialisierung" bedeutet in diesem Kontext , wenn auch oft unbewusst und eher impliziert,, sich anzumaßen, man wüsste was in des anderen Kopf ist. Es ist aber eine Grenzüberschreitung.
Man macht das oft unbewusst, zum Beispiel, um von sich selber abzulenken, oder aus Schuldgefühl
Man kann sich sogar selber kolonialisieren: Selbstkolonialisation..
Und hier ein paar Regeln, die von Lukas Möller stammen, einem schon 2002 verstorbenen Therapeuten, die dem entgegenwirken.
Möllers Ansatz ("Nähe durch Fremdheit") ist verwandt mit den Ansätzen von David Schnarch und Ester Perel.
Und dabei helfe ich!
Kolonialisierungen
"Kolonialisierung des Partners": hast Du Dich schon einmal von Deinem Partner kolonialisiert gefühlt?
Also: hast Du Dich schon einmal darüber geärgert, oder warst verzweifelt darüber, dass Dein Partner sich einbildete zu wissen, was Du denkst, fühlst, beabsichtigst und was in Deinem Kopf vor sich geht? Obwohl ja der einzige, der das wissen kann, Du selber bist? Oder dass er Dir vorschreibt, was Du tun oder lassen sollst?
Viele Paare leiden unter einer großen Sprachlosigkeit und Kommunikationskluft. Ihre Kommunikation beschränkt sich auf Alltagsregelungen, darauf, sich über etwas zu unterhalten, und auf endlose Kreisdiskutiererei, in der jeder seinen seelischen Schwerpunkt beim anderen hat, und besser zu wissen meint, wer dieser doch eigentlich ist.
Das ist "Kolonialisieren". Es ist ein Begriff, den der 2002 verstorbene Paartherapeut M.L. Moeller geprägt hat, und der 3 lesenswerte Bücher hinterlassen hat. Sie wirken aus heutiger Sicht vielleicht ein klein wenig altmodisch, aber ich habe viel aus ihnen gelernt. Der Begriff ist inhaltlich relevant, obwohl Moeller heute insgesamt leicht veraltet ist: z.B. ist er sehr auf Sigmund Freuds Theorie des Unbewussten fokussiert. Er arbeitet mit Freud´schen Begriffen wie "Verschiebung" etc, die heute kaum mehr verwendet.
Ich finde, Kolonialisieren fühlt sich tatsächlich an, als wolle eine fremde Macht einen besetzen. Es ist eins der wenigen Dinge, die mich auf die Palme treiben - mich "triggern" können.
Grenzüberschreitungen
Gefühle der Schwäche werden ja von vielen meist möglichst nicht offenbart. Es ist aber gerade von grosser Bedeutung, die eigenen Empfindungen "mitfühlbar" zu machen, in dem z.B. Eifersucht so vermittelt wird, wie sie gefühlt und erlebt wird.
In dem Moment, indem der deutliche Ausdruck des Leidens sich in eine Verhaltensvorschrift für den anderen verwandelt wie "du darfst ihn/sie nicht sehen" ist das Kolonialisierung. Es gibt auch bereits einem wesentlichen Unterschied, ob ich sage "ich fühle mich gekränkt und verletzt" (Ich-Aussage) oder "du verletzt mich" (Behauptung über den anderen). Letztes ist eine kolonialisierende ausdrucksweise. Konflikte werden dadurch übrigens unnötig angeheizt.
Denn dann wird dem anderen nicht mehr überlassen, wie er sich selbst eigentlich fühlt, was seine Beweggründe sind und was er in dieser Situation entscheiden möchte. Sondern es wird versucht, seine Selbstbestimmung durch Fremdbestimmung einzuschränken oder aufzuheben. Kolonialisierung ist also der unbewusste Versuch, über den anderen zu bestimmen - gegen seinen Willen, aber oft auch mit seiner Duldung.
In der Regel ist es ein Akt zu zweit.
Kolonialisieren bedeutet immer Grenzüberschreitung. Es ist am Anfang für viele nicht einfach, die feine Grenze zwischen persönlichem Gefühlsausdruck und Verhaltensvorschrift auszumachen. Denn anders als bei der Kolonialisierung wird durch das reine Aufzeigen der eigenen Gefühle das Verhalten des anderen zwar beeinflusst, aber seine Selbstbestimmung bleibt unberührt.
„In der Welt des anderen habe ich nichts zu tun. Es ist eine Frage der Ethik, ja der Menschenrechte, also ein Politikum im Paarleben, ob ich zu dieser grundlegenden Gleichrangigkeit bereit bin oder nicht.“ Moeller (2005, 145)
Kolonialisierung als Hauptproblem
Moeller, als Freudianer, erklärt sie also zu einem Hauptproblem in der Beziehung, das tief verwurzelt ist. Darum ist ihm auch so schwer beizukommen.
„Die Kolonialisierung ist ein Hauptsymptom der Paargrundstörung, der narzisstischen Beziehungsstörung. Sie gleicht in reiner und lebensgeschichtlich frühester Form einem seelischen Vorgang, der als projektive Identifizierung…diskutiert wird - allerdings kaum für das Paarleben“ (Moeller 2005,146).
Schuldgefühle und ungelebtes Leben
Moeller spricht in dem Kontext auch von Schuldgefühlen. Er findet, wenn man sich selbst nicht lebt, sich selbst nicht treu ist, sammeln sich die Empfindungen des ungelebten Lebens bis zur Vorwurfsstärke an, die dann auf Umstände, Schicksalsschläge, die Eltern und eben den Partner projiziert werden, die Schuld sind, das wirkliches (Er-)Leben nicht gelungen ist.
Das sehe ich auch so. Und es befeuert Kolonialisierungen enorm.
Ich finde diese Aspekte von Paarkommunikation total wichtig, für mich persönlich, genauso wie für meinen therapeutische Arbeit.
Aber nun erst einmal ein paar Worte über sein Gegenmittel - auch gegen andere Paarprobleme übrigens -, das ich schätze und anbiete: Zwiegespräche für Paare.
Zwiegespräche, um sich wechselseitig einfühlbar zu machen
Gegen Kolonialisierung und Schweigen, Abstumpfen, Versanden im Alltag , Kreisdiskussionen, usw. hat Moeller eine Gesprächsmethode entwickelt, die er "Zwiegespräch für Paare" nannte.
Ich helfe dabei, sie umzusetzen.
"Wenn wir uns aufeinander beziehen, halten wir die Beziehung lebendig“ (Moeller 2005, 13)
Im Zwiegespräch geht es um das konzentrierte, regelmäßige, persönliche Paargespräch, in dem die Partner wechselseitig von sich sprechen und den anderen an dem eigenen Erleben, den eigenen Überlegungen, Selbstbeobachtungen und der eigenen Gefühlswelt teilhaben lassen. „Ein Austausch von Selbstporträts“.
Es ist ein Gespräch der besonderen Art: kein Problemlösungs-Dialog, keine Konflikt-Lösungs-Dialog, auch kein Frage-Antwort-Dialog.
Sondern es ist ein von sich sprechen-und-Zuhören in einem ritualisierten Setting: der Redende erzählt von sich. Es geht um das Veräußern der inneren Landschaft, ohne Unterbrechungen, Fragen, Vorwegnahme, Verurteilung etc.
Durch Zwiegespräche entsteht die Möglichkeit einer Beziehung von zwei Menschen,
„…die sich mit der Zeit mehr und mehr verstehen, statt sich zu entfremden, die sich miteinander entwickeln, statt ihr Dasein nebeneinander fort zu fristen, die ihre Bindung vertiefen, statt abzustumpfen, und sei es auch, um zu erkennen, dass sie besser nicht zusammen lebten. Diese Gegenwärtigkeit ist für mich das sakrale Element“(Moeller 2005,16).
Zuneigung zueinander wächst, je mehr man voneinander erfährt
Ein Ergebnis der Sozialpsychologie und der menschlichen Verhaltensforschung besagt, das unsere Zuneigung zueinander wächst, je mehr wir voneinander erfahren.
Leider bleibt diese Erkenntnis zumeist ungenutzt, denn meistens wird das Gegenteil befürchtet, und die eigenen Schwächen durch Distanz abgeschirmt.
Moeller geht davon aus, dass sich Bindungen sehr vertiefen, wenn es den Partnern gelingt, die eigenen Unsicherheiten und Ängsten dem anderen einzugestehen.
Regeln für Zwiegespräche
Hier sind die wichtigsten Regeln
Regelmäßigkeit, damit Verbindlichkeit gewährleistet ist und der rote Faden nicht verloren geht (z.B. Wöchentlich oder alle 14 Tage)
Jeder spricht über das, was ihn gerade bewegt, wie er sich selbst , den anderen, die Beziehung und sein Leben erlebt. Er bleibt also bei sich. Und beschreibt. Keine Interpretationen, Deutungen, Vorwürfe ("du machst...) . Es ist ein offenes Gespräch das nichts anderes zum Thema hat.
Reden und Zuhören sind gleich verteilt. Z. B. alle 10 Min. Wird gewechselt. Ein angenehmer Timer ist meist ungeheuer wichtig.
Schweigen und Schweigen lassen, wenn es entsteht: niemand MUSS sprechen
Ausgeschlossen sind: dem anderen ins Wort fallen, bohrende Fragen, Drängen, Ratschläge, Kolonialisierungsversuche
Zwiegespräche sind kein Offenbarungszwang. Jeder entscheidet selbst, was und wie viel er von sich mitteilen möchte.
Das alles ist nicht immer ganz einfach. Besonders in Konfliktsituationen. Es ist gut, Zwiegespräche alleine versuchen, aber oft ist eine dritte Person hilfreich, um zu üben, die Regeln und die Regelmässigkeit einzuhalten.
Moeller, David Schnarch und Ester Perel: aus Distanz zu erotischer Nähe
Seiner Erfahrung nach haben regelmäßige Zwiegespräche die Wirkung eines „seelischen Aphrodisiakum“. Denn für ihn entstehen fast alle Störungen in der Erotik des Paares aufgrund von unausgesprochenen Ängsten und Wünschen, und dadurch verursachten Missverständnissen. Das wirksamste Aphrodisiakum innerhalb von Liebesbeziehungen ist die Lebendigkeit des Paares.
Und die kann nur im öffnenden Gespräch, das die Andersheit des Partners aushält und zulässt, erhalten werden.
Moeller war damit vielleicht seiner Zeit etwas voraus. Denn damit war ein zentraler Punkt seiner Denkens, indirekt über Distanz Nähe im Paar zu schaffen.
Moeller empfiehlt nämlich, von der wechselseitigen Unkenntnis aus zu gehen - statt von der gleichen Wellenlänge. Er formulierte es folgendermaßen:
Ich bin nicht du und weiß dich nicht (2005, 153).
Zwiegespräche ermöglichen eine Evolution zu zweit, und die Entdeckung, dass der andere anders ist und uns trotzdem nahe bleibt.
Das ist auch der Ansatz des amerikanischen Paartherapeuten David Schnarch mit seinem Konzept der "Differenzierung": Differenzierung schafft Begehren, nicht übergroße Nähe.
Und es ist der Ansatz der amerikanischen Paartherapeuting Ester Perel, die die erotische Lebendigkeit über bewusst zugelassene Fremdheit wiederherstellen will. Ihr erstes Buch "Mating in Captivity" hatte damit viel Erfolg.
Selbstkolonialisierung & die Kunst der Beschreibung
Ich nenne diese Art des "gewaltfreien" von sich Sprechens auch die Kunst der reinen Beschreibung. In meiner Arbeit mit Authentic Movement ist das ein wesentlicher Bestandteil und kann hier wunderbar geübt werden. Auch, und sogar sehr gut, ohne Partner!
Es ist sehr erhelllend und hilfreich zu erkennen, wo ich mich sozusagen selber kolonialisiere. Das tue ich z.B., indem ich mein wirkliches Erleben im Nachhinein in der Reflektion überlagere mit gewohnten, oft lebensgeschichtlich gelernten Interpretationen des Erlebten.
Oder dadurch, das ich manches davon garnicht wirklich in mein Bewusstsein dringen lasse, weil "es" irgendwann einmal im Leben als Negativerfahrung abgespeichert wurde. Damit inszeniere ich aber ein bestimmtes Selbstbild, eine unbewusst festgeschriebene innere Identifikation von mir immer wieder neu - meist ohne es zu merken.
Entkolonialisierung mir selbst gegenüber ermöglicht die Integration des Vermiedendem und damit Offenheit für das Leben. Ein Erleben innerer Befreiung von alten Bürden entsteht und eine neu gewonnene Freiheit, die zunächst durchaus auch Unsicherheiten und Ängste mit sich bringen kann. Dieser Prozess gibt dem JETZT wirklich spürbaren Raum und erlaubt das frische, unvoreingenommene Erleben dessen, was ist. Es vertreibt die gewohnten mentalen Filter.
Auf dieser Basis erübrigt sich dann mit der Zeit auch die psychische "Notwendigkeit der " kolonialistischen" Dynamik im Paar. Denn wenn ich mir in der Tiefe selbst begegnen und mich neugierig entdecken kann, kann ich das auch viel besser mit meinem Partner.
Literaturliste:
M.Moeller, 2005: Die Wahrheit beginnt zu zweit-Das Paar im Gespräch, rororo Verlag, 23.Aufl., Reinbeck
M.Moeller, 2009: Gelegenheit macht Liebe-Glücksbedingungen in der Partnerschaft, rororo Verlag, 5.Aufl., Reinbeck
Ester Perel, 2006: Was Liebe braucht. Das Geheimnis des Begehrens in festen Beziehungen.
Ester Perel´s TED talks
Ester Perel´s Youtube Kanal
David Schnarch, 2020 "Die Psychologie Sexueller Leidenschaft"
David Schnarch 2006: Intimität und Verlangen.
David Schnarch - Differenzierung (Youtube 30 Minuten Zusammmenfassung)
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